Chronische Langeweile

Chronische Langeweile

Lange Zeit war Chrono Cross für mich dieses große bunte PlayStation Rollenspiel mit dem wunderschönen Soundtrack, das Squaresoft damals leider nicht nach Europa gebracht hat. Dank der Remastered Version, die dieses Jahr herauskam, ist das Spiel inzwischen endlich auch weltweit verfügbar.

Nach einem eher trüben Jahresbeginn hatte ich auch richtig Bock auf das farbenfrohe tropische Flair und den vom Folk inspirierten Soundtrack. Also der ideale Zeitpunkt, diesen Klassiker aus meiner liebsten Schaffensperiode von Squaresoft endlich nachzuholen.

Serge, ein blauhaariger junger Mann, und Poshul, eine pinke Hündin, sind unterwegs in einer tropischen Lagune.

Chrono Cross spielt in einer wunderschönen tropischen Welt.

Doch nach ein paar Stunden setzte bei mir bereits eine ernüchternde Erkenntnis ein. Während Chrono Cross für viele ein Meisterwerk ist, war das Spiel für mich vor allem eines: Schockierend langweilig.

Das fängt beim Kampfsystem an, das zwar einige interessante Experimente wagt, mir persönlich aber zu kleinteilig und langatmig ist. Das Ganze basiert darauf, dass jeder Charakter pro Zug mehrere Angriffe ausführen kann, die dann höhere Trefferwahrscheinlichkeiten für stärkere Attacken sowie die Möglichkeit freischalten, elementare Fähigkeiten einzusetzen.

Serge und Poshul bekämpfen drei bläuliche Monster in einer felsigen Landschaft.

Pro Zug müssen Stärke und Trefferrate der Angriffe abgewogen werden.

Nervig fand ich daran nicht nur, dass Gegner mir beim Abspulen meiner Aktionen dazwischen funken können, sondern auch, dass sie selbst nach den bis zu drei Angriffen (wenn sie denn treffen) und einem angewendeten Zauberspruch pro Charakterzug einfach nicht tot umfallen wollen. Es gibt noch ein übergeordnetes System, bei dem das in der Kampfarena vorherrschende Element je nach Affinität zu Gunsten oder zum Nachteil der Partien manipuliert werden kann. Eine Art Tauziehen, was am Ende auch nur ein weitere zähes Element in die langwierigen Auseinandersetzungen bringt.

Ähnlich wie im wesentlich später erschienenen Bravely Default ziehen die vielen notwendigen Aktionen und Animationen jeden Kampf unnötig in die Länge, ohne den Zeitaufwand durch eine großartige taktische Tiefe zu rechtfertigen. Oder ich sehe sie nicht, ähnlich wie bei Bravely Default, das ja auch seine Fans haben soll. Vielleicht bin ich auch einfach nicht kompatibel mit dieser Art von Spielsystemen.

Kid, ein blondes, spärlich bekleidetes Mädchen, und Serge setzen eine Magmabombe im Kampf gegen zwei Krieger ein.

Nur durch den konsequenten Einsatz von Elementarzaubern lassen sich die Widersacher in die Knie zwingen.

Immerhin fällt durch einige unkonventionelle Entscheidungen ein Großteil an Ressourcen-Verwaltung weg: Ungenutzte aufgeladene Heilzauber können nach Kämpfen direkt zur Wiederherstellung der Gesundheit eingesetzt werden, Magiepunkte gibt es gar nicht. Da auch Erfahrungspunkte und Level im klassischen Sinn fehlen und Gegner jederzeit sichtbar sind, können Auseinandersetzungen zu einem gewissen Grad ignoriert werden. Wobei es an den sehr zahlreichen Bossen natürlich kein Vorbeikommen gibt.

Ähnlich wie im wesentlich später erschienenen Bravely Default ziehen die vielen notwendigen Aktionen und Animationen jeden Kampf unnötig in die Länge, ohne den Zeitaufwand durch eine großartige taktische Tiefe zu rechtfertigen.

So empfand ich die Kämpfe in Chrono Cross langsam ähnlich wie Zahnarztbesuche: Auf Dauer nicht zu vermeiden, und sobald es soweit ist, möchte ich einfach nur, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist. Auch schade, dass es im Remaster nicht wenigstens eine automatische Kampfoption gibt, die mir den Stumpfsinn erspart hätte, im Prinzip die immer gleiche Sequenz von Befehlen einzugeben, mit leichten Anpassungen an die jeweiligen Elementarschwächen.

Rocker Nikki kommentiert die Begegnung mit einem Krakenmonster in einem grünen unterirdischen See mit 'Ich glaube es einfach nicht! WIr kommen aus den Kämpfen gar nicht mehr heraus!'

Wenn die Kämpfe wenigstens Spaß machen würden.

Auch inhaltlich vermochte mich Chrono Cross über weite Strecken nicht zu packen. Einer der Gründe kommt von einem seiner Alleinstellungsmerkmale: Der großen Auswahl an rekrutierbaren Spielfiguren. Tatsächlich war es nach der Veröffentlichung des Remasters witzig online zu verfolgen, wie Spielende an den gleichen Stellen mit völlig unterschiedlichen Gruppen unterwegs waren. Ich hatte allerdings Probleme, unter den zahlreichen, für meinen Geschmack teilweise doch recht merkwürdigen Gestalten ein für mich ansprechendes Team zusammenzustellen. Bei vielen der Figuren war mir zudem nicht klar, wie ich sie rekrutieren könnte, oder sie waren entweder noch nicht, oder nicht mehr, im aktuellen Abschnitt verfügbar.

Und einen Bezug zu irgendwem zu entwickeln fiel mir auch schwer. Da bis auf den stummen Protagonisten Serge im Grunde alle weitestgehend optional sind, bleiben die Charaktere entsprechend blass. Einige davon mögen interessante Hintergrundgeschichten haben, doch die sind, wie vermutlich so vieles in diesem Spiel, hinter zig obskuren Bedingungen verborgen, die sich ohne Lösungshilfen nicht erschließen lassen.

Leena, ein rothaariges Mädchen, spricht mit Serge an einem idyllischen Korallenstrand: ''Wir waren schon ziemlich lange nicht mehr hier... Dabei sind wir früher so oft zum Strand gegangen...'.

Emotionale zwischenmenschliche Momente wie diese sind leider nur rar gesät.

Die Rahmenhandlung mag auch nie so recht in die Gänge kommen. Nach einem stimmungsvollen Anfang fehlte mir meistens der rote Faden, und eine gewisse Grundspannung, die Neugier auf das weckt, was als nächstes passiert. Die einzelnen Szenarien plätschern oft belanglos vor sich hin, enden gerne anti-klimatisch, und lassen Spielende häufig mit der Frage zurück, wie und wo zur Hölle es eigentlich als nächstes weitergehen soll.

Da bis auf den stummen Protagonisten Serge im Grunde alle weitestgehend optional sind, bleiben die Charaktere entsprechend blass.

Ohne eine Lösungshilfe zu Rate zu ziehen, oder immer und immer wieder an den selben Orten jeden Stein umzudrehen, ist es kaum möglich, das Ende des Hauptpfads zu erreichen, geschweige denn das gute Ende. Chrono Cross mag zwar heute ein altes Spiel sein, aber es erschien ursprünglich 1999, nicht 1989. Da hätte ich mir vom Remaster wenigstens eine Art Hilfefunktion gewünscht, die das nächste Ziel anzeigt, wie es sie etwa in den neueren Tales of Teilen oder Voice of Cards gibt.

Ein kleines Schiff segelt durch ein Archipelago.

Zielloses Herumschippern lässt sich nur mit Lösungshilfen vermeiden.

Dröge Kämpfe, blasse Charaktere, eine über weite Strecken langweilige Handlung und kaum vorhandene Spielführung: Hätte Chrono Cross nicht so einen Kultstatus und wäre es nicht die Fortsetzung des Klassikers Chrono Trigger (oder wäre ich in irgendeiner Form vernünftig im Umgang meiner Freizeit), hätte ich das Ding ehrlich gesagt nach ein paar Stunden abgebrochen (wie es übrigens nicht wenig andere getan haben, die das Spiel mit dem Remaster erstmals angegangen sind).

Ohne eine Lösungshilfe zu Rate zu ziehen, oder immer und immer wieder an den selben Orten jeden Stein umzudrehen, ist es kaum möglich, das Ende des Hauptpfads zu erreichen.

Dass ich es trotz meiner großen Kritikpunkte durchziehen konnte, habe ich einem Feature des Remasters zu verdanken, ohne das Chrono Cross für mich eigentlich nicht spielbar ist: Die jederzeit über R2 zuschaltbare Vorspulfunktion. Die habe ich schon früh in jedem Kampf aktiviert, damit die Chose möglichst schnell vorbei ist. Im weiteren Verlauf machte ich immer mehr davon Gebrauch. Eine Cutscene kommt nicht auf den Punkt? Geschwindigkeitsknopf! Von A nach B laufen dauert zu lang? Beschleunigungstaste! Bald wurde der zweite rechte Abzug mein unverzichtbarer Begleiter, ja, er wurde sozusagen mein CHRONO TRIGGER.

Die Gruppe liest in einem Labor aus einem Brief: 'Vor langer Zeit haben wir - also meine Freunde und ich . die Zukunft verändert. Wir wollten verhindern, dass Lavos, ein Monster aus dem All, unseren Planeten verschlingt.'

Der Vorgänger Chrono Trigger wird an zahlreichen Stellen referenziert.

So kam ich nach den ersten dutzend Spielstunden endlich mal in den Genuss von spannenden Wendungen und Offenbarungen in der Geschichte, die den allgemeinen Leerlauf hin und wieder aufbrechen. Gerade die zahlreichen Bezüge und Weiterentwicklungen von Handlungssträngen des Vorgängers Chrono Trigger empfand ich als Höhepunkte.

Chrono Cross weckte bei mir auch Assoziationen mit anderen damaligen Squaresoft Titeln. Aus Final Fantasy VII wurden einige Grundthemen übernommen, der realistische Grafikstil und mindestens ein wiederverwerteter Soundeffekt erinnerten mich auch heimelig an Teil VIII. Dazu kommen enorme Xenogears Vibes, die der stilistisch ähnliche Soundtrack und die überfrachtete, von Schöpfungsmythen durchzogene Hintergrundgeschichte mit sich bringen.

Ein alter Mann, der sich Prophet nennt, erklärt: 'Serge... Diese Welt ist nicht dieselbe, in der du aufgewachsen bist.' Im Hintergrund sind zwei Versionen des Archipelagos zu sehen.

Das beste an Chrono Cross ist seine verschrobene Hintergrundgeschichte.

Aber darin liegt für mich auch ein großes Problem von Chrono Cross: Es begeisterte mich vor allem an den Stellen, die mich an andere, aus meiner Sicht wesentlich bessere Spiele erinnern. Allen voran der eigene Vorgänger Chrono Trigger, der mich seinerzeit mit seiner flotten Handlung, seinen kurzweiligen Kämpfen und liebenswürdigen Hauptfiguren begeisterte. Also in genau den Punkten, die ich an der Fortsetzung kritisiere.

Während Chrono Cross für viele ein Meisterwerk ist, war das Spiel für mich vor allem eines: Schockierend langweilig.

Manchmal witzle ich darüber, dass es schon in Ordnung ist, Spiele ewig ungespielt im Regal stehen zu lassen, da sie so zumindest keine Möglichkeit bekommen, mich zu enttäuschen. Im Fall von Chrono Cross ist dieser Fall leider eingetreten. Es war schöner, als das Spiel in meinem Kopf noch diese Perle gewesen ist, als die sie von vielen gesehen wird, einer dieser Klassiker, der nur darauf wartet, von mir endlich nachgeholt zu werden. Eine ungeöffnete Packung alter 32-Bit Squaresoft Magie. Doch bei aller Liebe wollte der Funke bei mir selbst nach 35 investierten Spielstunden einfach nicht überspringen.