Final Fantasy X

Final Fantasy X

Final Fantasy X stellt einen Wendepunkt in der langlebigen Rollenspielreihe dar. Die cineastischen Ambitionen der direkten Vorgänger erlangten dank dem Sprung von der ersten zur zweiten PlayStation einen neuen Höhepunkt. Das Spielsystem greift Elemente des ersten Final Fantasy Teils auf, wie anti-elementare Schutzzauber und rundenbasierte Kämpfe. Sogar ein Zeitsprung ist wieder Teil der Handlung, während der narrative Fokus wie in den direkten Vorgängern auf den Charakteren und ihren Schicksalen liegt.

Eine Art modernisiertes Best of, das als Endpunkt einer weitestgehend linearen Evolution steht, aber gleichzeitig auch der Ausgangspunkt neuer Entwicklungen wie MMORPGs und direkten Storyfortsetzungen ist. Final Fantasy X stellt den Übergang zwischen “altem” und “neuem” Final Fantasy dar – in den Augen nicht weniger Fans allerdings auch den zwischen “gutem” und “schlechtem”.

Ausblick auf die futuristische Stadt Zanarkand.

Die PlayStation 2 ermöglichte detaillierte Szenerien in Echtzeit.

Auch für mich persönlich fiel die Veröffentlichung des zehnten Final Fantasy Teils in eine Phase des Übergangs. In meinen späten Teenager-Jahren ließ der Enthusiasmus für japanische Rollenspiele spürbar nach. Statt mir Final Fantasy X wie noch Teil VIII und IX direkt am ersten Tag zu holen, ließ ich mir damit Zeit, bis eine gebrauchte PlayStation 2 im Haus stand, die aber hauptsächlich für Silent Hill Fortsetzungen angeschafft worden war.

Trotzdem hatte ich mich im Vorfeld auf das damals neuste Final Fantasy gefreut, es schließlich durchgespielt, und für gut befunden. Den berüchtigten Neben- und Postcontent, der die Spielzeit locker in den dreistelligen Bereich bringen konnte, habe ich allerdings nicht mal angekratzt. Und ein großes Bedürfnis für einen erneuten Durchgang hatte ich seitdem eigentlich nicht. Erst als das Spiel zu seinem 20-jährigen Jubiläum in den GamePass kam, nahm ich das HD-Remaster in Angriff.

Tidus trifft auf die Hexe Lulu und den Sportler Wakka.

Tidus mit Lulu und Wakka, die zu Yunas Leibgarde gehören.

In Final Fantasy X übernehmt ihr die Rolle des Sportlers Tidus, wohnhaft in der futuristischen Stadt Zanarkand. Sein Leben wird völlig auf den Kopf gestellt, als seine Heimat attackiert und Tidus durch eine verhängnisvolle Begegnung 1000 Jahre in die Zukunft katapultiert wird. Inzwischen hat sich die Welt namens Spira drastisch verändert: Technologie ist aus religiösen Gründen verpönt, doch das ist nicht der einzige Grund für die Rückständigkeit in Spira: Ein riesiges Monster namens Sin greift die Menschen regelmäßig an und sorgt für Tod und Zerstörung.

Die einzige Hoffnung für die Zivilisation sind die sogenannten Medien, die durch eine Pilgerfahrt die finale Beschwörung erlangen können, durch die Sin zumindest für zehn Jahre außer Gefecht gesetzt werden kann. Tidus schließt sich dem Medium Yuna samt ihrer Leibgarde auf einer solchen Reise an und lernt dabei die von Spiritualität und Leid geprägte Welt von Spira kennen.

Yuna steht auf einer Wasserfontäne und schickt mit ihrem Stab Seelen gen Himmel.

Medium Yuna sendet die Seelen der Opfer von Sins letztem Angriff ins Jenseits.

Die sieht gerade im Remaster fantastisch aus, für das einige Grafiken erweitert oder sogar neu erstellt worden sind. Natürlich hat sich das Quellmaterial bereits gut für eine Modernisierung angeboten, da die Hintergründe im Gegensatz zu den Vorgängern größtenteils in Echtzeit berechnet werden. Entsprechend kann sich das Remaster auch für heutige Verhältnisse noch sehen lassen, vor allem im Vergleich zu den Neuauflagen von Teil VII, VIII und IX, die manchmal schon arg frankensteinartig zusammengezimmert wirken.

Die DVD als neues Speichermedium bot genug Platz für erstmals voll vertonte Dialogsequenzen. Eine Möglichkeit, die vom Entwicklungsteam so ausgiebig genutzt worden ist, dass vor allem in den ersten Stunden kein richtiger Spielfluss aufkommen möchte. Es fühlt sich stattdessen mehr wie ein interaktiver Film an. Zum Glück legt sich das nach einer Weile, und dann macht das Spiel auch ordentlich Laune.

Tidus erkundet eine von Bäumen und Wasserfällen gesäumte Klippe.

Die tropischen Umgebungen sehen immer noch fantastisch aus!

Das liegt vor allem am spaßigen Kampfsystem, das strikt rundenbasiert abläuft. Dabei ist immer ersichtlich, wer wann zum Zug kommt, was die Planung enorm erleichtert. Jederzeit können Charaktere in die aktiv kämpfende Gruppe eingewechselt werden, um auf die aktuelle Situation zu reagieren. So sollten zum Beispiel fliegende und schwer erreichbare Gegner durch Wakkas Blitzball erledigt werden, während Elementarschwächen von Schwarzmagierin Lulu ausgenutzt werden können.

Etwas überrascht war ich von der für PlayStation 2 Verhältnisse doch recht hohen Zufallskampfrate, die in einigen Gebieten richtig unangenehm werden kann. Als Ausgleich gibt es dafür in den Tempelschreinen nur simple Rätsel zu lösen, und wenn überhaupt nur Bosskämpfe zu bestreiten. Neben dem Vermöbeln von Monstern hielt mich vor allem die Ergründung der exotisch anmutenden, von Südostasien inspirierten Welt von Spira bei der Stange, in der sich prachtvolle Naturbilder mit der Tristesse zerfallender Zivilisation abwechseln.

Wakka, Yuna und Auron kämpfen gegen ein riesiges Pflanzenmonster.

In den Kämpfen ist immer ersichtlich, wer wann dran ist.

Die begleitende Handlung mag zwar recht schlicht ausgefallen sein und auf manchen bekannten Genre-Klischees basieren, funktioniert für mich aber immer noch gut. Gerade bei Wendungen, die mir bereits bekannt waren und sich auch eigentlich kilometerweit abzeichnen, war ich erstaunt darüber, wie effektiv sie dann doch ihre emotionale Wirkung entfalten. Diese konfliktreiche Mischung aus fatalistischer Bedrückung und sonniger Unbeschwertheit sorgt für eine einzigartige Atmosphäre, wie ich sie sonst nur aus dem später erschienenen Xenoblade Chronicles kenne.

Ein Grund, warum Final Fantasy X damals wie heute nicht mein Favorit wurde, ist der unausstehliche Protagonist Tidus. Der gebräunte Blondling ist für mich mit seiner aufgedrehten Art und Gewinner-Attitüde einfach das JRPG-Hauptcharakter Äquivalent zur Popgruppe Modern Talking. Sein nerviges Gehabe sorgte bei mir in so einigen Zwischensequenzen für Augenrollen, nicht nur in der inzwischen zum Meme gewordenen Lachszene. Auch den einfältig daher plappernden Wakka konnte ich nicht mehr so ironisch witzig finden wie damals noch. Völlig verdrängt hatte ich zudem, was Gegenspieler Seymor doch für eine lästige Arschkrampe ist.

Yuna und Tidus lachen zusammen.

Ein bisschen Lachen hilft durch schwere Zeiten.

Dass diese Charaktere so schlecht bei mir wegkommen kann aber auch gut an der englischen Synchronfassung liegen. Im Vergleich klingen die japanischen Stimmen für mich viel angenehmer. Gerade bei Seymor muss ich im Originalton nicht fortwährend an die Simpsons-Episode denken, in der sich Bösewicht Tingeltangel-Bob in einem Zeppelin versteckt und durch seine vom Helium verursachte Fistelstimme entdeckt wird. Dass sich auch im Remaster nicht auf die japanische Synchronisation wechseln lässt finde ich daher mehr als ärgerlich.

Zum Glück sorgen die anderen Figuren für Ausgleich: Yunas Entwicklung vom Fußabtreter zur Rebellin ist immer noch spannend zu verfolgen. Selbst ihre aufkeimende Romanze mit Tidus funktioniert für mich, trotz Tidus. Derweil wurden mir die spröde Art der obercoolen Hexe Lulu und die markigen Sprüche von Haudegen Auron nie langweilig. Der schweigsame Biestkrieger Kimahri stellt einen mehr als wohltuenden Kontrast zu Hampelmann Tidus dar. Selbst die aufgeweckte Bastlerin Rikku, eigentlich der prädestinierte Nervcharakter, war mir durch ihre fürsorgliche Art sympathisch. Insgesamt war ich der Party über die Zeit – trotz einiger blitzballspielender Ausfälle – doch sehr zugetan.

Gruppenbild mit Wakka, Auron, Yuna, Tidus, Kimahri, Lulu und Rikku.

Die Truppe ist mir über die Zeit ans Herz gewachsen. Zumindest der Großteil.

Das Ende der gemeinsamen Reise näherte sich beim zweiten Mal viel schneller als bei meinem ersten Durchgang. Damals saß ich gute 50 Stunden an dem Spiel. Dieses Mal stand ich nach nicht mal 40 Stunden vorm finalen Kampf. Bei dem ich natürlich noch keine Chance hatte. Also musste ich nun doch mal in die Nebenaufgaben gehen. Natürlich zwingen mich keine zehn Chocobos, freiwillig Blitzball zu spielen. Wenn ich ein JRPG kaufe, möchte ich mich mit Rollenspiel-Mechaniken auseinandersetzen und kein FIFA light serviert bekommen. Daher habe ich mir andere Aufgaben vorgenommen.

Mit dem Erlangen aller beschwörbaren Bestia kam ich leider nicht weit. Dazu müssen in allen Tempeln sämtliche versteckte Schätze geborgen werden, was ich nicht immer gemacht habe. Und später werden sie von den schwer zu besiegenden Schwarzen Bestia bewacht. Die Schmetterlingsjagd im Macalania-Wald habe ich nach ein paar halbherzigen Versuchen abgebrochen. In den Omega-Ruinen kam ich aufgrund der harten Gegner auch nicht weit.

Blitzball Szene unter Wasser, in der diverse Statistiken erklärt werden.

So spannend wie Mathe in der Schule: Blitzball.

Immerhin habe ich fast das komplette Monsterfarm-Nebenquest absolviert, bei dem alle Arten von Monstern in den verschiedenen Gebieten eingefangen werden müssen. Die Belohnungen aus diesem Quest allein haben gereicht, um meine Ausrüstung mit allerhand nützlichen Eigenschaften versehen zu lassen. Und natürlich habe ich dabei genügend Fähigkeitenpunkte gesammelt, um meine Figuren ordentlich viele Felder auf dem Sphärobrett zu bewegen, wo Abilities erlernt und Statusverbesserungen erlangt werden können. Entsprechend gewappnet habe ich den Endboss schließlich besiegen können, auch wenn es trotzdem ein happiger Kampf war. Der Weg dorthin hat mich vollends in das Spiel investiert. Selbst mit Nerv-Kasper Tidus fühlte ich mit. Der Abspann war für mich dann auch ein mehr als emotionaler Abschied.

Wo steht Final Fantasy X nun 20 Jahre nach der Veröffentlichung bei mir? Es hat sich erst mal abgesehen von einigen Schwächen wie der teilweise echt hohen Zufallskampfrate (und Tidus) außerordentlich gut gehalten. Es ruft die Stärken der Final Fantasy Reihe – spannende Welten, visuell ansprechend gestaltete Charaktere, emotionale Geschichten, zugängliche Spielsysteme, schöne Soundtracks – noch einmal auf hohem Niveau ab und packt sie erfolgreich in ein modernes Gewand, das auch heute noch gut funktioniert.

Tidus steht auf einem Felsen, während der Rest der Gruppe um ein Lagerfeuer sitzt.

Beginn und Ende einer mitreißenden Geschichte.

Darüber hinaus ist das Spiel auch spürbar in meiner persönlichen Gunst gestiegen. Das liegt zum einen daran, dass ich dieses Mal im Gegensatz zu damals wieder mit Enthusiasmus für JRPGs und Final Fantasy an die Sache herangegangen bin, zum anderen daran, dass ich die stilistische Nähe zu meinen Lieblingsteilen VII und VIII inzwischen viel mehr zu schätzen weiß. An die kommt Final Fantasy X zwar trotzdem nicht heran, doch während ich das Spiel beim ersten Mal lediglich “gut” fand, hat es sich jetzt einen sicheren dritten Platz in meiner hart umkämpften Final Fantasy Top 5 errungen.

An der Stelle: Alles Gute zum 20-jährigen Jubiläum, Final Fantasy X, und Gratulation zu einer mehr als verdienten Bronze-Medaille! Und sorry, Tidus, es reicht eben nicht immer für die oberste Stufe auf dem Siegestreppchen.

Tidus schwimmt nachdenklich im Wasser.

Tidus’ Spiel landet bei mir hauptsächlich wegen ihm nur auf Platz 3.

You can win if you want
If you want it you will win
On your way you will see
That life is more than fantasy
Take my hand, follow me
Oh you gotta brand-new friend
For your life

– Dieter Bohlen